von Sina Bardill, Psychologin FSP und Supervisorin/Coach BSO
Wie der Vater, so der Sohn oder: wie die Eltern und Grosseltern, so die Kinder. Über lange Zeit wurden Berufe in der Familie sozusagen weiter vererbt. Es gab – neben dem bäuerlichen Alltag, der bis vor 150 Jahren in der Schweiz dominierte – Handwerkerfamilien oder Lehrerfamilien. Die eigene berufliche Identität wurde einem quasi in die Wiege gelegt – und ein Ausbrechen aus der Familientradition war oft gar nicht einfach.
Heute ist das Gegenteil der Fall. Jugendliche sehen sich bei der Berufswahl mit einer Vielzahl an Möglichkeiten konfrontiert. Dafür eigene Entscheidungskriterien zu finden, ist gar nicht einfach. Sie wissen von Anfang an: Die Berufswahl ist nur der Anfang. Ob es den gewählten Beruf so oder so ähnlich in zehn Jahren noch geben wird, ist in vielen Branchen unklar. Auch die eigene berufliche Identität wird sich im Lauf des Lebens wahrscheinlich stark verändern.
Dies steht in scharfen Kontrast dazu, wie Menschen funktionieren. Die körperliche und psychische Grundkonstruktion, über Jahrtausende bewährt, stellt sicher, dass Gefahren erkannt werden können und man auf Reaktionsmöglichkeiten zurückgreifen kann (z. B. auf Verteidigung, Flucht oder Angriff). Diese einfache Grundkonstruktion ergab, zusammen mit berechenbaren Verhältnissen, einem überschaubaren Lebensraum (auch sozial), klaren Bedingungen und Grenzen eine stabile, verlässliche Basis – Sicherheit für den Umgang mit neuen Herausforderungen. Was bedeutet es nun, dass dieses Fundament für moderne Menschen immer schneller immer schmaler wird und das Ausmass an Neuem und Unbekanntem immer grösser?
Natürlich, auch die Anpassungsfähigkeit ist Teil der körperlichen und psychischen Ausstattung. Anpassung ist jedoch eine Leistung und hat ihren Preis. Und sie kann misslingen. Nicht selten führt der Versuch einer übermässigen Anpassung an Veränderungen auch zu Überforderung, Selbstausbeutung oder zum Bruch im sozialen Gefüge.
Ersteres zeigt sich in psychischer Hinsicht z. B. mit dem Gefühl, abgehängt zu werden, nicht mehr mitzukommen bis hin zu Erschöpfung und Burn-out. Letzteres kann zu Verbitterung über die eigene Situation bis zu Schuldzuweisungen und innerem Exil führen. All dies sind Phänomene, die stark zunehmen, zu vielfältigen gesellschaftlichen Problemen führen und auch eine Herausforderung für das Funktionieren der Demokratie sind.
Menschen sind deshalb heute stark gefordert, Sicherheit aus anderen Quellen zu schöpfen. Nicht mehr die berechenbare Laufbahn, nicht mehr automatisch stabile Beziehungen und örtliche Verankerungen können das Fundament genügend stark machen – obwohl es durchaus Sinn macht, in diese Lebensbereiche zu investieren. Ein weiteres wichtiges Element ist die eigene innere Stabilität. Es gilt, sich Handwerkszeug anzueignen im Umgang mit Unsicherheit, Belastung und Bedrohung. Welche Strategien helfen dabei, sich selbst zu beruhigen? Wie kann man sich nach einem Misserfolg wieder aufbauen? Wie gelingt es, aus einer destruktiven Gedankenspirale auszusteigen und sich erfreulicheren Dingen zuzuwenden?
Solche psychischen Fertigkeiten werden zu Schlüsselkompetenzen im Umgang mit Unsicherheit. Sie setzen eine liebevolle Hinwendung zu den eigenen Quellen voraus. Hilfreich dafür ist, sich Zeit zu nehmen, Reflexion, Gedanken und Gefühle aufzuschreiben. Auch regelmässig ein Gegenüber mit offenen Ohren zu haben, um sich über Schwierigkeiten, Erfahrungen und Lernschritte auszutauschen, ist Gold wert.
Bild: HomeMaker / Pixabay
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