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Migration in Zeiten demographischen Wandels: Herausforderung und Chance

Veröffentlicht am 03.03.2025
Migration in Zeiten demographischen Wandels: Herausforderung und Chance
Die Prognose einer Zehn-Millionen-Schweiz bis 2040 sorgt für Diskussionen. Gleichzeitig steigt die Zahl der über 65-Jährigen bis 2050 auf 2.7 Millionen. Zuwanderung und Überalterung prägen die Gesellschaft. Bedeutet dies mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder eine Bedrohung der Lebensweise? Oder sichert dies den Erhalt gesellschaftlicher Strukturen und wirtschaftlichen Wohlstands? 
von Prof. Dr. Andreas Nicklisch, studierte und promovierte in Volkswirtschaftslehre in Jena, Bonn, Zürich und Philadelphia und ist seit 2017 Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik an der FH Graubünden

Die Schweizer Wirtschaft hat seit 2021 über 400’000 neue Arbeitsplätze geschaffen, angetrieben durch Nachholeffekte nach der Pandemie, hohe Konsumausgaben und eine starke Auslandnachfrage. Dennoch bleiben viele Stellen unbesetzt. 2024 fehlten über 15’000 Pflegekräfte, und über 40% der Bauunternehmen, 30% der Industrie- und 20% der Gastronomiebetriebe gaben an, dass der Personalmangel ihre Geschäftstätigkeit hemmt.

Diese Situation wird sich weiter verschärfen. Aktuell verlassen geburtenstarke Jahrgänge den Arbeitsmarkt, während geburtenschwache nachrücken. Pro Jahr verliert die Wirtschaft netto über 10’000 Erwerbstätige. Mit einer Geburtenrate von 1.5 Kindern pro Frau ist diese Entwicklung langfristig vorgezeichnet.

Andere Länder sind noch stärker betroffen. In China beispielsweise lag das Durchschnittsalter 2024 bei 39.6 Jahren, wird aber bis 2050 auf über 50 Jahre steigen. Die Geburtenrate ist seit Jahrzehnten rückläufig, was zu massiven Herausforderungen im Gesundheitswesen, der Altenpflege und in der öffentlichen Verwaltung führt.

Migration gegen Überalterung

Die Schweiz wirkt diesen Herausforderungen durch Zuwanderung teilweise entgehen. Migration stabilisiert das Gesundheitssystem, stellt Pflegepersonal und stützt das Pensionssystem. Der Altersquotient – das Verhältnis der über 64-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen – lag 2022 bei 31.8%. Ohne Migration wäre dieser mindestens 10 Prozentpunkte höher, was die Sozialwerke massiv belasten würde.

Migration hat jedoch ihren Preis. Sie führt zu Stellenwachstum, das weiteren Zuzug auslöst. Dies fordert Infrastruktur, Wohnungsmarkt und das Bildungssystem heraus. Gleichzeitig generiert Migration wirtschaftliches Wachstum: Mehr Menschen bedeuten mehr Konsum, Investitionen und Innovation. Trotzdem bleibt die Integration eine der grössten Aufgaben, um langfristig Stabilität und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten.

Integration als Erfolgsschlüssel

Migration stellt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Herausforderungen. Integration ist eine Aufgabe für alle – für Zuwanderer wie für Einheimische. Besonders wichtig sind frühzeitige Massnahmen, da ein rascher Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesellschaft entscheidend ist.

Ein grosses Problem ist Diskriminierung, vor allem im Berufsleben. Hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten aus dem Balkan, Asien und Afrika arbeiten häufig unter ihrem Niveau («Brain Waste»), weil ihnen Anerkennung und Chancen fehlen. Dies führt nicht nur zu wirtschaftlichen Verlusten, sondern verstärkt gesellschaftliche Segregation.

Aber Studien zeigen, dass soziale Kontakte mit Einheimischen Diskriminierung abbauen. Eine Untersuchung zur Integration syrischer Flüchtlinge ergab, dass alltägliche Interaktionen – etwa in Sportvereinen – dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und langfristige Integration zu fördern. Eine Gesellschaft, die solche Chancen nutzt, profitiert sowohl wirtschaftlich als auch sozial.

Demographischer Wandel und Migration erfordern Anpassungen und Kompromisse von allen. Doch ein Vergleich mit Ländern, die kaum Zuwanderung haben, zeigt: Ohne Migration wären die Herausforderungen durch die Alterung der Gesellschaft noch gravierender. Der Wandel verändert unseren Lebensstil, bietet aber auch die Chance, gesellschaftliche Strukturen zu erhalten und wirtschaftlichen Wohlstand auszubauen. Die Schweiz hat die Möglichkeit, diesen Wandel aktiv zu gestalten – durch vorausschauende Integrations- und Wirtschaftspolitik.

Das Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) an der FH Graubünden ist ein Kompetenzzentrum für Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspolitik und angewandte Statistik. Es unterstützt mit Forschungs- und Beratungsleistungen Wirtschaft und Politik bei der Lösung wirtschafts- und regionalpolitischer Fragen. fhgr.ch/zwf

Bild: zVg